Eben wurde von Twitter-Nutzer „DrKnäcke“ ein Kommentar im Nachrichtenportal NewsEcho veröffentlich, in welchem er eine Zukunft ohne Bargeld aufmahlt. Zum Glück komme ich mangels Facebook-Account nicht in die Kommentare, weswegen er meine anfängliche Troll-Ausbruchswelle nur in etwas über 160 Zeichen abbekommen hat – trotzdem brennt es mir noch unter den Nägeln seine Argumente zu zerpflücken, als fangen wir mal an:
…immer irgendwo eine ältere Dame oder ein älterer Herr, die mühsam blinzelnd das Kleingeld aus den Tiefen ihres Geldbeutels kramen…
Warum sollte dies nur ältere Menschen betreffen? In meinem Bekanntenkreis wird die Geld/Kreditkarte nur selten gezückt – ich persönlich habe in einem Geschäft noch nie mit irgendeiner Plastikkarte gezahlt.
Die Karte dürfte jedenfalls deutlich schneller zu finden sein, als die vielen kleinen Münzen
…zwischen allen Pässen, Ausweisen, Mitglieds- und Zagangskarten,… Vor allem ältere mit Sehschwäche dürften da wohl auf Grund des genormten Formats widersprechen – Geldstücke lassen sich immerhin an der Seitenprügung und Größe auch ohne visuelle Bestätigung ganz gut unterscheiden.
Zum Einkaufen? Geht doch alles auch bargeldlos.
…sprach der Stadtbewohner. Ich wohne jetzt nicht unbedingt in der Pampa, aber selbst hier, 20km von Koblenz entfernt, bietet doch eine nicht unbedeutende Zahl von Geschäften keine Möglichkeit der Kartenzahlung. Bei den Inhabern sind meist die Kosten für die nötigen Netzanschlüsse, Verfügbarkeit selbiger und die verschiedenen Standards der Banken Gründe gegen den Plastikverkehr.
eine Art Scheck, dessen Geldwert der Beschenkte seinem Konto gutschreiben kann
…was den Beschenkten nötigt mit seiner Bank in Kontakt zu treten. Gerade im Bankensektor nimmt man es mit der Geschwindigkeit der Buchungen nicht so ernst (jedenfalls Zubuchungen an denen sie durch Warten noch etwas verdienen könnten) – Geld kann man sofort wieder ausgeben.
Soll Oma das Geld ab sofort überweisen? Ja, warum sollte sie nicht?
Weil sie dafür spezielle Geräte benötigen würde bzw. zur Bank gehen müsste? Ohne eigenen Kartenleser fallen Offline-Systeme wie die Geldkarte weg – Onlinesysteme würden ebenfalls einen PC o.Ä. mit Verbindung zur Bank benötigen und dazu noch voraussetzen, dass selbst der Kaugummiautomat an der Bushaltestelle (Erinnerung: Nicht in der Stadt) eine Festverbindung zur Bank besitzen würde. Sicher technisch machbar wenn man es drauf anlegt, aber wer soll die Kosten für neue Leitungen oder Sendemasten tragen?
Aber stellen wir uns eine Welt ohne Bargeld doch einmal vor: Kein Falschgeld
Offlinesysteme lassen grundsätzlich großen Spielraum für Manipulationen und Onlinesysteme sind – wie Einbrüche von Crackern bei diversen Zahlungsdienstleistern zeigen –
auch nicht unfehlbar – das Problem verlagert sich nur von spezialisierten Papierdruckern zu spezialisierten Technikkriminellen.
Banken, Supermärkte, Tankstellen zu überfallen, wäre plötzlich uninteressant.
Nicht unbedingt, denn das Geld muss irgendwie an die Person oder Organisation gebunden sein – es muss also ein Pass, Identitätsnachweis oder Ähnliches existieren, welche den Geldinhaber den Zugriff ermöglichen würde. Diesen lohnt es sich durchaus zu entwenden. Ebenso wären Manipulationen am Lesegerät des Geschäfts (Stichwort Skimming) eine Angriffsfläche – ähnliche Angriffe auf die bestehenden Kreditkartenterminals sind bereits bekannt.
aber Dinge wie Drogenhandel, Schwarzarbeit in größerem Umfang oder sonstige dubiose Geschäfte unter der Hand wären zumindest deutlich erschwert.
Das würde nur zutreffen, wenn man alle anderen Handelssysteme verbietet – wirklich eine Utopie wenn man die Anzahl der weltweiten Währungen berücksichtigt. Auch digital und aufgezeichnet hält da keinen ab, wie zuletzt Bitcoin und SilkRoad zeigte. Außerdem: Möchte man die Geschäfte unter der Hand verbieten? Mal gebrauchte CDs verkaufen? Den fließenlegenden Schwager des Freundes der Nichte für die neue Küche privat Engagieren? Offenbar nicht – denn wenn jeder das machen würde, was er öffentlich vorgibt, gäbe es weder Schwarzarbeit noch BILD…
Vermutlich würden einige Datenschützer bei dem Gedanken an eine bargeldlose Welt ebenfalls auf die Barrikaden steigen
Das mach sogar ich als jemand, der doch viele Daten freiwillig Preis gibt. Ist aber auch noch ein guter Kritikpunkt, denn muss die Bank wirklich jeden Einkauf oder Arztbesuch nachvollziehen? Wer hindert Konzerne und Banken daran die Daten weiterzuverwerten oder zu verkaufen? Unser Staat sicher nicht – und wer überwacht die Überwacher der Überwacher?
Hätte vor 20 Jahren jemand erzählt, einen Dienst zu nutzen, der seinen aktuellen Standort öffentlich preisgibt, man hätte ihn für verrückt erklärt.
Das kommt drauf an – seinen Standort gab man damals schon Preis – aber bewusst und kontrolliert. Wer das heute unkontrolliert und unbewusst macht werde ich auch weiterhin als verrückt betrachten, denn alle erhobenen Daten können im schlechtesten Fall missbraucht werden, egal was AGB oder Gesetz sagen.
und einem Staat, der die Belange des Datenschutzes versteht und ernst nimmt
Wuhahahaha – Also nicht in diesem Leben 😉
wäre auch eine rein bargeldlose Welt kein allzu großes Schreckgespenst
Was noch immer Möglichkeiten schafft – beispielsweise die der Krankenkassen alle Personen mit überdurchschnittlichen Alkoholeinkäufen zu finden. Das ist doch gut für die Gesellschaft, ODER? Und selbst wenn nicht: Wo ein Wille ist ist bekanntlich auch ein Weg – imo würde das nur zu sinkendem Konsum und steigendem Schwarzhandel führen.
aber ohne utopische Vorstellungen wäre die Welt heute nicht dort, wo sie ist.
Doch ist sie der Ort, an dem sie Heute steht, die wirklich erstrebenswerteste Stelle? Oder wären wir nicht besser dran, wenn die Utopisten von damals einen Seitenblick auf die Risiken und Nebenwirkungen ihrer ach so strahlenden (sic) Zukunftsvision geworfen hätten…?